Der bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe kritisiert das Urteil des Landgerichts Essen.
Das aktuelle Urteil des Landgerichtes Essen in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung sorgt bundesweit für Empörung: Der Beschuldigte war freigesprochen worden, weil sich das mutmaßliche Opfer – ein damals 15jähriges Mädchen – nicht ausreichend gewehrt habe.
Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe problematisiert in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung bei sexualisierter Gewalt in Deutschland.
„Das Urteil ist ein Skandal“, so Anette Diehl, Mitarbeiterin im Frauennotruf Mainz. „Aber das Schlimmste: Uns Expertinnen aus der Beratung, die tagtäglich mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt und Sexualstrafverfahren zu tun haben, wundert es nicht!“ Schlimm deshalb, weil der Freispruch, nach allem was aus der Presse über den Fall zu entnehmen ist, der deutschen Gesetzeslage und Rechtsprechung entspricht.
Genau hier liegt das Problem: anders als in anderen Ländern, setzt das deutsche Strafrecht bei einer Vergewaltigung eine Nötigung des Opfers voraus. Die sexuelle Handlung muss also entweder mit Gewalt, mit Drohung mit einem empfindlichen Übel oder aufgrund einer schutzlosen Lage erzwungen worden sein.
Konkret heißt das, dass es nicht ausreicht, wenn eine Frau ausdrücklich und mehrfach Nein sagt oder vielleicht auch schreit. Die Betroffenen müssen sich körperlich wehren bzw. nur dann nicht körperlich wehren, wenn konkrete Drohungen ausgesprochen wurden oder sie dem Täter schutzlos ausgeliefert sind.
Durch die rechtliche Definition der „schutzlosen Lage“ werden zahlreiche sexuelle Übergriffe strafrechtlich nicht verfolgt. Denn es bleibt unberücksichtigt, dass häufig die gesamte Situation für Betroffene bedrohlich wirkt und sie sich ohnmächtig und hilflos fühlen. Betroffene befürchten lebensbedrohliche Verletzungen und haben Angst, oft ohne dass der Täter konkrete Drohungen aussprechen muss.
„Vergewaltigungen sind sehr häufig Beziehungstaten, d.h. da der Täter aus dem nahen Umfeld kommt, können private Räume gefährlich werden. Auch im aktuellen Fall in Essen kannten sich Täter und Opfer. Leider zählt es für die rechtliche Beurteilung nicht, wenn eine Frau weiß, was passieren kann und wie gefährlich Gegenwehr ist, und sie sich deshalb nicht körperlich wehrt“, schließt Diehl.
Dies sind nach Ansicht von Expertinnen Gründe, warum die Strafverfolgung von sexuellen Angriffen in Deutschland unbefriedigend ist: Nur 13% der strafrechtlichen Verfahren nach einer Anzeige wegen Vergewaltigung enden mit einer Verurteilung des Beschuldigten. Die größte Hürde liegt aber noch weiter davor: Nur 5% der Frauen, die vergewaltigt werden, zeigen diese Tat überhaupt an.
Damit Vergewaltigung nicht länger als weitgehend unbestrafte Straftat angesehen werden kann, fordert der bff eine breite juristische und fachliche Debatte und zugleich eine Veränderung der Rechtssprechung hinsichtlich des Kriteriums der „schutzlosen Lage“.
Unterstützt wird der bff von Internationalen Dokumenten und Instrumenten zum Schutz von Frauenrechten wie z.B. dem UN-Ausschuss zu CEDAW, der Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau. Dieser hat im Jahr 2010 folgende Entscheidung gefällt: Körperlicher Widerstand darf bei Vergewaltigungen nicht notwendig sein und sagt nichts darüber aus, ob eine Vergewaltigung stattgefunden hat oder nicht. Vielmehr reagieren Betroffene sehr unterschiedlich auf solche extremen Situationen.
Katja Grieger vom bff: „Wir sind ist der Auffassung, dass die deutsche Rechtslage in diesem Punkt den international gesetzten Standards widerspricht und geändert werden muss. Der bff will erreichen, dass die Verfahren bei „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ das einhalten, was ihr Name verspricht: den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Dies ist momentan nicht gegeben.“
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Die Pressemitteilung des bff ist hier zu finden: