Gewalt gegen ältere und hochaltrige Frauen
Merkmale und Tatsachen
Gewalt gegen ältere und hochaltrige Frauen wird stark tabuisiert, kommt jedoch häufig vor. Sie tritt vor allem im sozialen Nahraum auf, z.B. in Partnerschaft und Familie.
Über 9% der Frauen zwischen 60 und 74 Jahren erleben körperliche oder sexualisierte Gewalt, über 17% psychische Gewalt durch den aktuellen Partner. Bei den Frauen über 75 Jahre sind 2-3% von körperlicher oder sexualisierter und knapp 10% von psychischer Gewalt durch den Partner betroffen. (Studie Partnergewalt gegen ältere Frauen, Länderbericht Deutschland, IPvOW 2010, S. 37)
Knapp ein Viertel aller Femizide (versuchte und vollendete Tötungen von Frauen und Mädchen) wurde im Jahr 2023 an Frauen über 60 Jahren begangen, davon knapp 41 Prozent älter als 80 Jahre. (Lagebild des Bundeskriminalamtes Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023, S. 39). Täter sind häufig Partner, aber auch andere Familienangehörige wie Söhne und Enkel .
Viele Frauen erleben auch Gewalt in der Pflege. Dazu zählen zum Beispiel die Verletzung des Schamgefühls der zu pflegenden Person, eine mangelhafte Ernährung, die hygienische Verwahrlosung, Gewaltanwendungen bei der Medikamentengabe oder auch verbale Attacken, sexualisierte Gewalt und körperliche Angriffe. Andererseits können Frauen auch als pflegende Angehörige Gewalt erleben, wenn sie z.B. ihren Partner oder Sohn zu Hause pflegen.
Hinzu kommt, dass viele ältere und hochaltrige Frauen im Lauf ihres Lebens Gewalt erfahren haben und im Alter verstärkt mit den Erinnerungen daran konfrontiert werden.
Gewalt gegen ältere und hochaltrige Frauen kann in verschiedenen Kontexten stattfinden und verschiedene Formen annehmen. Wie auch in anderen Altersgruppen sind die Täter bei Gewalt in Partnerschaften meistens männlich. Viele Frauen sind zudem durch frühere Gewalterfahrungen belastet. Bei Gewalterfahrungen aus dem Krieg (z.B. Kriegsvergewaltigungen) handelt es sich dabei oft um besonders schwerwiegende und schwer zu bewältigende Ereignisse.
Für ältere Frauen ist es häufig besonders schwer, über ihre Gewalterfahrungen zu sprechen und aus eigener Initiative Hilfe zu suchen.
Viele schweigen bereits ihr Leben lang und versuchen, das Erlebte zu verdrängen und zu vergessen. Durch die gesellschaftliche Tabuisierung von Gewalt im Alter wird dies begünstigt. Laut der europäischen Studie „Intimate Partner Violence Against Older Women“ (Studie zu Partnergewalt gegen ältere Frauen) ist diese Gewalt in den meisten Untersuchungsländern fast unsichtbar, es gibt wenig Bewusstsein dafür und einen niedrigen Wissensstand dazu. Entsprechend gibt es kaum passende Hilfsangebote.
Hinzu kommen spezifische Risikofaktoren und eine altersspezifische Vulnerabilität. Stereotype gesellschaftliche Bilder über Alter, Geschlechterrollen und Sexualität können leicht dazu führen, dass Gewalt gegen alte Frauen nicht erkannt oder nicht ernst genommen wird. So können z:B. Berichte über Gewalt als Folge von Demenz fehlinterpretiert und Gewalt durch Partner oder Angehörige im Pflegekontext verharmlost werden. Materielle und andere Abhängigkeiten (z.B. bei Pflegebedürftigkeit) erschweren eine Trennung. Häufig fehlt es auch an kurzfristigen niedrigschwelligen Möglichkeiten der Notfallhilfe für Frauen mit krankheits- und altersbedingten Einschränkungen.
Häusliche Gewalt
Viele ältere und hochaltrige Frauen sind von häuslicher Gewalt betroffen. In der repräsentativen Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ berichten ältere Frauen bezogen auf den ganzen Beziehungsverlauf seltener als jüngere Frauen, aber dennoch in relevanter Größenordnung über Erfahrungen von körperlicher oder sexualisierter Gewalt.
Laut der europäischen Studie zu Partnergewalt gegen ältere Frauen aus dem Jahr 2010 erfahren über 9% der 60- bis 74-jährigen Frauen, die in einer Paarbeziehung leben, und 2,6 % der über 75-jährigen Frauen in ihrer aktuellen Partnerschaft mindestens einmal körperliche und/oder sexualisierte Gewalt. Laut der Studie sind ältere und alte Frauen auch häufig von psychischer Gewalt in der Partnerschaft betroffen. Die Gruppe der 60- bis 74-Jährigen stellt dabei eine stark belastete Altersgruppe dar (17,6 % psychische Gewalt, darunter 7% von massiver psychischer Gewalt).
Die Chancen, materielle und soziale Folgen einer Trennung bei Partnergewalt aufzufangen, sind im Alter geringer.
Ältere Frauen trennen sich seltener von gewalttätigen Partnern als jüngere Frauen und sie erstatten seltener Anzeige.
Sexualisierte Gewalt
Dass insbesondere sexualisierte Gewalt im Alter stark tabuisiert ist, liegt an stereotypen Einstellungen und Vorurteilen hinsichtlich sexualisierter Gewalt (Vergewaltigungsmythen), aber auch an Vorstellungen zu Alter und Alterssexualität. Auch ältere Frauen sind jedoch von sexualisierter Gewalt betroffen – seltener als jüngere Frauen, aber sehr viel häufiger als ältere Männer. Laut Dunkelfeldforschung wird davon ausgegangen, dass mit zunehmendem Alter der Betroffenen eine verstärkte Konzentration auf den sozialen Nahraum erfolgt. Dies bestätigt die Studie zur sexuellen Viktimisierung im Alter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen.
Ältere Frauen erfahren sexualisierte Gewalt in unterschiedlichen Lebensumständen.
Häufig wird die Gewalt vom aktuellen oder einen früheren Partner ausgeübt, oft in der eigenen Wohnung. Aber auch Frauen in Alten- und Pflegeheimen sind von sexualisierter Gewalt durch das Pflegepersonal oder Besucher betroffen. In den meisten Fällen sind die Täter männlich.
Gewalt in der Pflege
Der Eintritt einer Pflegebedürftigkeit stellt ein kritisches Lebensereignis für die zu pflegende Person, aber auch für das soziale Umfeld dar. Oft wird die Pflegeverantwortung von vorwiegend weiblichen Familienangehörigen übernommen. Für die pflegende Person ist die Situation nicht selten überfordernd.
Mit der Inanspruchnahme von Pflege geht eine erhöhte Abhängigkeit der pflegebedürftigen Person von der pflegenden Person und somit ein Machtgefälle einher. Das erhöht das Risiko, Gewalt zu erfahren.
Einem besonders hohen Risiko sind ältere Frauen mit Demenzerkrankungen ausgesetzt.
Oft werden in der Öffentlichkeit Fälle bekannt, in denen Pflegebedürftige beispielsweise festgebunden werden. Aber auch weniger „deutliche“ Formen wie verbale Erniedrigungen oder Beleidigungen sind Gewalt.
Gewalt in der Pflege wird häufig subtil ausgeübt und nicht als solche wahrgenommen.
Das gewaltvolle Handeln in Pflege und Assistenz hat viele Facetten. Dazu zählen auch die Verletzung des Schamgefühls der gepflegten Person, eine mangelhafte Ernährung, die hygienische Verwahrlosung, Gewaltanwendungen bei der Medikamentengabe oder auch verbale Attacken und körperliche Angriffe.
Tritt in einer bereits von Gewalt geprägten Partnerschaft oder Familie eine Pflegebedürftigkeit der betroffenen Person ein, kann das zu einer Verstärkung der Gewalt führen. Zu bestehenden finanziellen, emotionalen und sozialen Abhängigkeiten kommen nun auch pflegebedingte Abhängigkeiten dazu, die von der pflegenden Person ausgenutzt werden können.
Auch innerhalb von Pflegeeinrichtungen kommt es immer wieder zu gewaltvollen Übergriffen durch Mitbewohner*innen und Betreuungspersonal.
Manche Strukturen der Einrichtungen erleichtern Übergriffe und verringern die Gefahr der Aufdeckung von Gewalt. Die Abhängigkeit von Mitarbeitenden ist in Einrichtungen groß; es besteht ein Machtgefälle im Betreuungs- und Pflegeverhältnis. Dieses Machtverhältnis erschwert es zugleich, über Gewalterfahrungen zu reden. Schutzkonzepte der Einrichtungen können dem entgegenwirken.