Gewaltschutz und Flucht:
Die Bedeutung der Istanbul-Konvention für den Schutz geflüchteter Frauen

Istanbul-Konvention ist der Name des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, welches seit August 2014 in Kraft ist. Das Übereinkommen schreibt vor, dass die Gleichstellung der Geschlechter in den Rechtssystemen der Unterzeichnerstaaten verankert sein muss und sämtliche diskriminierende Vorschriften abzuschaffen sind. Damit entsteht eine Verpflichtung staatlicher Stellen, entsprechende Maßnahmen z.B. in den Bereichen Prävention, Schutz und Sanktion zu treffen. Die Istanbul Konvention ist seit 2018 geltendes Recht in Deutschland.

Für den Bereich des Flüchtlingsrechts relevant sind die Artikel 60 und 61 der Konvention, die das Verbot der Zurückweisung Schutzsuchender formulieren (61) und festgelegen, dass in den Vertragsstaaten Gewalt gegen Frauen aufgrund des Geschlechts als Asylgrund bzw. Grund für die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gilt (60).

In den Asylverfahren wird geschlechtsspezifische Gewalt meist (noch) dem Flüchtlingskonventions-Merkmal „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ zugordnet. So heißt es in § 3 b Nr. 4 2. Halbsatz AsylG, „(...) eine Verfolgung wegen einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft.“ Entsprechend wird geschlechtsspezifische Verfolgung wie sexualisierte Gewalt, Beschneidungen, oder auch Bestrafung wegen Verstoß gegen Kleiderordnungen u.a. unter dieses Merkmal subsumiert. Das engt jedoch die Wahrnehmung von Verfolgung ein und versperrt gelegentlich bei Frauen den Blick auf die anderen Verfolgungsmerkmale (wie beispielsweise politische Überzeugung, Religion o.ä.). Dagegen fordert die Istanbul-Konvention richtigerweise eine geschlechtersensible Interpretation auch der anderen Verfolgungsgründe wie eben politische Überzeugung, Religion, Nationalität und Rassismus. Denn Angriffe gegen das „Geschlecht“ sind als Sexismus und Frauenverachtung jedem anderen Verfolgungsmerkmal inhärent.

Die Stärke der Konvention liegt in diesem Regelungsbereich derzeit darin, dass auch Gewalt in Partnerschaften explizit als geschlechtsspezifische, flüchtlingsrelevante Verfolgung wahrgenommen wird. Bei fehlenden staatlichen Schutzvorkehrungen würde dies in der Praxis einen Anspruch auf Gewährung von Schutz im Falle erlittener Gewalt in Partnerschaften bedeuten.

Die Vorgaben der Konvention an die Führung des Asylverfahrens sind in Deutschland zumindest theoretisch dadurch umgesetzt, dass das Bundesamt in Fällen von Gewalt die Befragung durch Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifische Gewalt durchführen lässt und ein Anspruch auf eine weibliche Anhörerin und auch eine weibliche Sprachmittlerin besteht.

Aufenthaltsrechtlich stellen zudem die Regelungen des Art. 59 Abs. 1 bis Abs. 3 der Konvention verbindliche Regelungen auf, jedoch hat die Bundesrepublik gegenüber den Regelungen des Abs. 2 und Abs. 3 von Art. 59 einen Vorbehalt erklärt, so dass diese Regelungen derzeit nicht bindend sind.

Art. 59 Abs. 1 der Konvention sieht im Falle von Gewalt in der Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der von Gewalt betroffenen Personen vor, unabhängig von der Dauer der Ehe. Im deutschen Recht ist hingegen eine Ehebestandszeit von drei Jahren vorgesehen, bei kürzeren Ehen muss eine ganz besondere Härte vorgetragen werden.

In Abs. 2 des Art. 59 der Konvention ist regelt, dass auch Partner*innen, deren Aufenthalt an dem ihrer Partner*in hängt, im Falle, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten, falls Letztere (wegen einer Straftat) ausgewiesen werden. Hier gibt es im deutschen Recht keine auch nur annähernd vergleichbare Regelung. Die Bundesregierung stellt sich mit ihrem Vorbehalt gegen den von der Konvention geforderten Schutz für Frauen in dieser Situation.

In Art. 59 Abs. 3 der Konvention ist eine Aufenthaltserlaubnis für von Gewalt betroffene Frauen vorgesehen, die als Zeug*innen in einem entsprechendem Strafverfahren aussagen sollen. Hier hat sich die Rechtslage trotz erklärtem Vorbehalt für Frauen verbessert. Durch den neu eingefügten Abs. 4a in §25 AufenthG soll in diesen Fällen nun eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Anwesenheit im Bundesgebiet für das Strafverfahren für sachgerecht erachtet wird, die Person jede Verbindung zu den beschuldigten Personen abgebrochen hat und sie ihre Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren als Zeug*in auszusagen.

Auch nach Beendigung des Strafverfahrens soll nun nach Satz 3 des § 25 Abs. 4a AufenthG die so erteilte Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit der Person im Bundesgebiet erfordern.

Hier wurde der Erfahrung  Rechnung getragen, dass viele von Gewalt oder Menschenhandel betroffenen Frauen einen illegalisierten Status in Deutschland vorziehen, wenn ihnen im Zusammenhang mit einer Aussage vor Gericht jegliche Möglichkeit eines verlängerbaren Aufenthalts verwehrt bleibt. Sie wählen diese Option anstatt nach Ablauf eines Strafverfahrens in ihre jeweiligen Herkunftsländer zurückkehren zu müssen.