Arbeitskreis Frauengesundheit: Gemeinsam die psychische Gesundheit gewaltbetroffener Frauen stärken

Der bff unterstützt das Positionspapier des Arbeitskreises Frauengesundheit zur Stärkung der psychischen Gesundheit gewaltbetroffener Frauen. In dem Papier heißt es:

In Deutschland erlebt jede dritte Frau ab dem 16. Lebensjahr körperliche Gewalt, fast jede siebte Frau sexualisierte Gewalt unter Anwendung von Zwang und Drohungen. In etwa der Hälfte der Fälle wiederholt sich die Gewalt. Meist wird sie durch den aktuellen oder früheren Partner ausgeführt.
An mehr als jedem dritten Tag findet in Deutschland ein Femizid statt. Alle 42 Minuten wird eine Frau Opfer von vollendeter oder versuchter gefährlicher Körperverletzung durch Partnerschaftsgewalt.
Auf mindestens 54 Milliarden Euro pro Jahr oder 148 Millionen Euro pro Tag beziffern sich die gesellschaftlichen Folgekosten von geschlechtsspezifischer Gewalt für Deutschland, ausgehend von Zahlen aus England. Die jährlichen Kosten des deutschen Gesundheitswesen belaufen sich auf 287
Millionen Euro für die Erstversorgung, 9 Millionen Euro für psychotherapeutische Behandlungen und
145 Millionen Euro für die Versorgung nach Suizidversuchen.
Mit der Unterzeichnung der „Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (Istanbul-Konvention) im Jahr 2018 erkennt Deutschland geschlechtsspezifische Gewalt als Mittel zur Erhaltung ungleicher Machtverhältnisse an. Es erkennt auch den strukturellen Charakter geschlechtsspezifischer Gewalt an. Dieser Charakter bestimmt die Verarbeitungsmöglichkeiten von psychischen Belastungen wesentlich.
Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die Gleichstellung von Frauen und Männern in diesem Jahrzehnt zu erreichen. Sie bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu, eine ressortübergreifende politische Strategie gegen Gewalt an Frauen zu entwickeln, die Rechte von Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen und das Hilfesystem entsprechend auszubauen. Auf dem Weg zu diesen Zielen haben sowohl die Bundesregierung als auch die zentralen Einrichtungen des Gesundheitssystems Schlüsselpositionen darin, gemeinsam die psychische Gesundheit von Frauen zu stärken, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen waren oder sind.

Gemeinsam Verantwortung übernehmen
Die Handlungsoptionen umfassen folgende Themenbereiche:


Empfehlungen an die Bundespolitik und die gemeinsame Selbstverwaltung
1. Eine breit angelegte Sensibilisierungsinitiative starten.
2. Partizipative Prävalenz- und Wirksamkeitsforschung ausbauen und fördern.
3. Die Umsetzung der Istanbul-Konvention im Rahmen der Rechtsaufsicht sicherstellen.
4. Wartezeiten für eine Psychotherapie reduzieren und Komplexleistungen fördern.
5. Berücksichtigung der Istanbul-Konvention beim Ausbau von Traumaambulanzen.
6. Gewalterleben als Zugangsmöglichkeit zu Psychosomatischen (PsIA) bzw. Psychiatrischen (PIA) Instituts-Ambulanzen §118 SGB V definieren.

Empfehlungen an die Deutsche Krankenhausgesellschaft auf Bundes- sowie Länderebene
7. Die Entwicklung und das Vorhalten von gewalt- und geschlechtsspezifischen Konzepten inkl. Gewaltschutzkonzepten fördern.
8. Das Thema geschlechtsspezifische Gewalt ins Entlassungsmanagement verbindlich aufnehmen.
9. Die Vernetzung mit anderen Versorgungs- und Hilfebereichen sicherstellen.

Empfehlung an die Krankenkassen
10. Geschlechts- und gewaltinformierte sowie traumafokussierte und zielgruppenspezifische Therapieangebote ausbauen und finanzieren.


Empfehlungen an die Bundes- sowie Landespsychotherapeutenkammern sowie Ärztekammern
11. Eine Sensibilisierungs- und Fortbildungsinitiative starten und kontinuierlich weiterführen.
12. Schutz- und Sicherheitsaspekte in die therapeutische Behandlung einbeziehen und vorrangig behandeln.
13. Informierte Entscheidungen fördern.


Empfehlungen an die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie Landesvereinigungen
14. Eine spezifische psychotherapeutische und fachärztliche Versorgung sicherstellen.
15. Vorrangige Berücksichtigung bei Neuzulassungen und Sonderzulassungen ermöglichen.
16. Entwicklung von Fortbildungsmaterialien fördern.

Das Papier wird neben dem bff unterstützt vom Bündnis Istanbul-Konvention, SIGNAL, Traumanetz Berlin und dem evangelischen Fachverband für Frauengesundheit. Die Langfassung steht hier zum Download bereit: