Der bff hat Forderungen veröffentlicht, was notwendig ist für eine umfassende und niedrigschwellige Versorgung von Betroffenen sexualisierter und körperlicher Gewalt. Bei der Versorgung müssen medizinische, rechtsmedizinische und psychosoziale Aspekte Hand in Hand gehen und die medizinische Versorgung als gleichwertige Säule neben der rechtsmedizinischen Versorgung mitbedacht werden – denn das ist auch im Interesse einer (späteren) Strafverfolgung. Eine vertrauliche Spurensicherung kann nur dann gut funktionieren, wenn die medizinische Erstversorgung und Nachsorge sichergestellt sind.

  • Die medizinische Versorgung von Betroffenen von Gewalt muss insgesamt einen anderen Stellenwert im Gesundheitssystem bekommen. Bei Vergewaltigung und körperlicher Gewalt braucht es bessere Rahmenbedingungen mit ausreichend Zeit, Aufmerksamkeit und Sensibilität des klinischen Personals sowie die Bereitstellung des erforderlichen Materials wie z. B. Leitfäden zur Befunddokumentation und Spurensicherung inklusive Schulung im Umgang mit diesen Unterlagen.
  • Dafür braucht es eine gesicherte Finanzierung. Und es braucht ein gesellschaftliches Umdenken und ein Gesundheitssystem, das die Versorgung Betroffener von Gewalt von wirtschaftlichen Kriterien abkoppelt.
  • Betroffene haben das Recht auf eine medizinische Versorgung, diese gilt es flächendeckend bereitzustellen. Eine umfassende
    Erstbehandlung, die gleichwohl eine Befunddokumentation im medizinischen Kontext inkludiert, muss in Kliniken und in niedergelassenen Praxen finanziell abgesichert sein, damit Betroffene diese nicht tragen müssen. Betroffene haben das Recht zu entscheiden, welche Versorgungsangebote sie in Anspruch nehmen möchten und sind entsprechend darüber aufzuklären.

Zur Umsetzung des Rechts auf vertrauliche Spurensicherung im SGB V müssen folgende Bedingungen gewährleistet sein:

  • Es muss dringend gesichert sein, dass das Abrechnungsverfahren mit den gesetzlichen Krankenkassen – im Sinne der Betroffenen – anonym, d.h. ohne Namensnennung gestaltet werden kann.
  • Es bedarf einer Klärung, dass auch Privatversicherte, aber auch Personen ohne Krankenversicherung und Jugendliche ohne Einwilligung der Sorgeberechtigten sowie Menschen mit Behinderungen unter gesetzlicher Betreuung Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung in Anspruch nehmen können und bezahlt bekommen.
  • Bei der gesetzlichen Regelung im Masernschutzgesetz wurden die Finanzierung der Spurensicherungs-Kits sowie Schulungen des ärztlichen Personals nicht berücksichtigt. Deren Finanzierung muss jedoch sichergestellt werden.
  • Es braucht einheitliche Qualitätsstandards bei der Versorgung Betroffener von sexualisierter und körperlicher Gewalt, darunter für die vertrauliche Spurensicherung. Dazu zählen verpflichtende Schulungen des medizinischen Personals, damit diese Sicherheit im Umgang und der Versorgung von Betroffenen nach erlebter Gewalt erlangen. Dazu zählen u.a. ein traumasensibler, geschlechterreflektiver, zielgruppenspezifischer Ansatz. Auch das Pflege- und Servicepersonal muss geschult werden, da diese Personen in der Regel im Erstkontakt mit den Betroffenen stehen. Die Finanzierung der Schulungen muss geklärt sein. Bei den Schulungen ist die Expertise der Fachberatungsstellen miteinzubeziehen, um multidisziplinäre Perspektiven.
  • Zu empfehlen ist zudem der Einsatz standardisierter Befundbögen zur Dokumentation der Verletzungen für ein bundeweites Monitoring.
  • Der bff empfiehlt zudem eine kontinuierliche, datenschutzrechtlich gesicherte Erfassung von Daten zur Häufigkeit der medizinischen Versorgung und vertraulichen Spurensicherung nach Gewalt, die bundesweit aussagekräftig ist.
  • Im Gesetz benannt sind qualifizierte Leistungsträger, die die Umsetzung der vertraulichen Spurensicherung übernehmen sollen. Ein zentrales Qualitätsmerkmal ist aus Sicht des bff die Kooperation zwischen Kliniken und/oder niedergelassenen Ärzt*innen mit rechtsmedizinischen Instituten und vor allem auch spezialisierten Fachberatungsstellen.
  • Gewährleistung kurzer Wege und einer niedrigschwelligen Erreichbarkeit der Angebote. Betroffene müssen eine Klinik, niedergelassene Praxis, rechtsmedizinische Untersuchungsstelle und Fachberatungsstelle innerhalb von 20 bis 45 Minuten erreichen können.
  • Ausbau dezentraler Angebote für die vertrauliche Spurensicherung und medizinische Versorgung nach sexualisierter und körperlicher Gewalt. Nicht nur Kliniken, sondern auch niedergelassene Ärzt*innen sollten die vertrauliche Spurensicherung anbieten.
  • Aufbau landesweiter und regionaler Koordinierungsstellen. Die medizinische Versorgung und Spurensicherung nach Gewalt erfordert das verbindliche Zusammenwirken verschiedener Professionen und Akteur*innen, welches koordiniert werden muss. Koordinierungsstellen können bestehende Angebote der medizinischen, rechtsmedizinischen und psychosozialen Versorgung bündeln und Versorgungslücken identifizieren. Sie können zudem wichtige interdisziplinäre Fallkonferenzen koordinieren und durchführen. Koordinierungsstellen können zugleich für eine effektive Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit sorgen, um Betroffene von Gewalt noch besser anzusprechen und auf die Angebote hinzuweisen. Koordinierungsstellen können auch als Türöffner für wichtige Kooperationen und Vernetzungen fungieren. Bei Koordinierungsstellen bietet es sich an, dass diese in Hand des Unterstützungssystems sind. In verschiedenen Bundesländern gibt es bereits gut erprobte Koordinierungsstellen, allerdings oft ohne eine ausreichende Finanzierung.
  • Kostenfreie Notfallkontrazeptiva nach erlebter Gewalt. Aktuell gibt es Finanzierungslücken für Betroffene. Dazu zählen einerseits kostenlose Notfallkontrazeptiva wie die Pille danach. Eine Schwangerschaft kann eine Folge erlebter sexualisierter Gewalt sein, allerdings müssen Betroffene die Pille danach nach dem 22. Lebensjahr selbst zahlen. Auch sind Laboruntersuchen auf sexuell übertragbare Krankheiten, wie beispielsweise Chlamydien oder eine HIV-Infektion, in Krankenhäusern nicht abrechenbar. Die Pille danach sollte ohne Altersbeschränkung für Betroffene von Gewalt kostenfrei bereitgestellt werden. Auch müssen – im Interesse der Betroffenen – die Kosten für Untersuchungen auf sexuell übertragbare Krankheiten auch in Krankenhäusern übernommen werden.
  • Wichtig ist der diskriminierungsfreie Zugang zu Versorgungsangeboten nach erlebter sexualisierter und körperlicher Gewalt.
    • Angebote der medizinischen, rechtsmedizinischen und psychosozialen Versorgung müssen barrierefrei zur Verfügung stehen, damit z.B. Betroffene mit Behinderungen umfassend versorgt werden können. Dazu zählen neben der Zugänglichkeit der Räume beispielsweise auch Informationen in Leichter Sprache oder Deutscher Gebärdensprache.
    • Auch müssen Dolmetschkosten zur Verfügung gestellt werden, damit Klinikpersonal, niedergelassene Ärzt*innen, aber auch Fachberatungsstellen Betroffene von Gewalt umfassend über die medizinische Behandlung und auch die Möglichkeit der vertraulichen Spurensicherung informieren können.
  • Der diskriminierungsfreie Zugang muss auch für Migrant*innen, Minderjährige und ältere Menschen sowie lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intersexuelle, non-binäre und queere Menschen (LGBTIQ*) bestehen. Dies ist beispielsweise in der Öffentlichkeitsarbeit und dem Bekanntmachen von Angeboten der Versorgung nach sexualisierter und körperlicher Gewalt zu berücksichtigen.
  • Weiterführung von Modellen guter Praxis: Best-Practice-Projekte und gut etablierte Strukturen zur medizinischen Versorgung und/oder vertraulichen Spurensicherung nach sexualisierter oder körperlicher Gewalt müssen unbedingt weitergeführt werden und finanziell abgesichert sein.
  • Der bff fordert, dass in Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt keine Regressforderungen von Krankenkassen möglich sein dürfen.
  • Aus Sicht des bff muss sichergestellt sein, dass bei der medizinischen und rechtsmedizinischen Versorgung an Fachberatungsstellen weiterverwiesen wird. Diese sind wichtig für die weitere psychosoziale Unterstützung und Bearbeitung der erlebten Gewalt.