Interview mit Nicole Burek, Bundesnetzwerk für Frauenbeauftragte in Einrichtungen und Ricarda Kluge, Weibernetz e.V. zum Thema sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Gewalt am Arbeitsplatz

„Sexuelle Belästigung war ab der ersten Minute ein Thema, denn viele Frauen sind in den Werkstätten von sexueller Belästigung betroffen. Uns ist es wichtig, die individuelle Perspektive zu berücksichtigen und die betroffenen Frauen zu schützen, aber es ist auch wichtig die strukturelle Ebene nicht zu vergessen und da entsprechende Vorkehrungen zu treffen", Ricarda Kluge, Weibernetz e.V.

Seit 2016 engagiert sich Ricarda Kluge von Weibernetz e.V. gemeinsam mit Frauenbeauftragten und Selbstvertreter*innen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben und arbeiten eine selbstbestimmte Vernetzungsstruktur für Frauenbeauftragte in Einrichtungen aufzubauen. Im September 2019 wurde das Bundesnetzwerk für Frauenbeauftragte in Einrichtungen gegründet. Nicole Burek ist vorsitzende Frauenbeauftragte der Stiftung Bethel proWerk in Bielefeld und setzt sich zusätzlich als eine von sechs Vorstandsfrauen des Bundesnetzwerkes für die Rechte der Frauen mit Behinderungen ein. Das Interview führte Ceyda Keskin, Referentin des make it work!-Projekts.

Arbeitsalltag einer Frauenbeauftragten

Sie arbeiten in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und haben gleichzeitig auch das Amt der Frauenbeauftragten inne. Wie sind Sie Frauenbeauftragte geworden und warum ist dieses Amt für Sie so wichtig?

Nicole Burek: Frauenbeauftragte bin ich geworden, weil es ja zum Glück seit 2017 gesetzlich verankert ist, dass es in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen Frauenbeauftragte geben muss. Und dann habe ich mich aufstellen lassen als beschäftigte Frau in den Werkstätten und bin dann auch gewählt worden. Meine Intention dahinter war, dass ich als Person, die selbst schon sehr viel Gewalt im Leben erlebt hat, andere Frauen davor zu schützen. Mir war es wichtig, dass ich meine Erfahrungen dafür nutze und an andere Frauen weitergebe, damit sie so etwas nicht erleben müssen. Als Frauenbeauftragte habe ich nun die Möglichkeit mich gegen Gewalt einzusetzen.

Wie sieht denn ein typischer Arbeitsalltag einer Frauenbeauftragten aus? Was sind die konkreten Aufgaben?

Nicole Burek: Die Frauenbeauftragten bekommen in der Regel von den Werkstätten einen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Wir haben dann die Möglichkeit, für die Frauen Sprechstunden anzubieten, Frauencafés zu organisieren, Selbstbehauptungskurse zu veranstalten. Es kommt auch immer darauf an, ob man eine Freistellung für die Arbeit als Frauenbeauftragte hat und wie hoch sie ist. Also die Arbeit sieht so aus, dass man Infomaterialien zur Verfügung stellt, Veranstaltungen organisiert, durch die Werkstätten geht und die Frauen aktiv fragt, wie es ihnen geht und welche Probleme sie haben. Es geht dann auch darum gemeinsam Lösungen für die Probleme zu finden. Meine Funktion als Frauenbeauftragte ist nochmal sehr speziell, denn ich wurde zur Vorsitzenden der Frauenbeauftragten bei Bethel gewählt und ich organisiere monatliche Sitzungen.

Was sind die Schwerpunktthemen in der Beratung? Mit welchen Fragen oder Anliegen kommen den die Betroffenen zu Ihnen? Inwiefern ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ein Thema in der Beratung?

Nicole Burek: Wenn man auf das Gesetz schaut, dann ergeben sich folgende Schwerpunktthemen: Gleichstellung von Mann und Frau, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Schutz vor Gewalt usw. Aber es ergeben sich je nach den Umständen vor Ort auch ganz unterschiedliche Themen. Wir machen aktuell etwas zu den Wechseljahren bei den Frauen. Wir wollen da was in Leichter Sprache entwickeln. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist natürlich auch ein Thema. Wir gehen dann gemeinsam mit der betroffenen Frau durch, was wir da tun können. Dabei versuche ich den Frauen, dass Gefühl zu geben, dass sie sich nicht schämen müssen und dass sie geschützt sind.

 

Das Bundesnetzwerk für Frauenbeauftragte in Einrichtungen

Die Frauenbeauftragten haben sich in den letzten Jahren zusammengeschlossen und eine selbstbestimmte Vernetzungsstruktur aufgebaut: Das Bundesnetzwerk für Frauenbeauftragte in Einrichtungen. Warum war es notwendig ein Bundesnetzwerk auf die Beine zu stellen? Was sind die Hintergründe für die Entstehung?

Nicole Burek: Notwendig war es auf jeden Fall, ein Bundesnetzwerk zu haben, damit die Frauenbeauftragten auch auf der Bundesebene bessere Unterstützung erhalten, damit sie politisch besser vertreten sind und die Arbeitsbedingungen der Frauenbeauftragten sich verbessern. Die aktiven Frauenbeauftragten haben sich schon vor einigen Jahren zusammengetroffen, um zu überlegen, wie eine Selbstorganisierung der Frauenbeauftragten auf Bundesebene aussehen könnte. Wir haben gemeinsam überlegt, welche Organisationsform dabei in Frage kommt. Wollen wir einen Verein gründen? Wenn ja, wie sollte der Verein aussehen? Dabei hat uns Weibernetz e.V. sehr aktiv unterstützt. Wir haben gemeinsam überlegt, wie unsere Satzung aussehen könnte, wir haben einen Finanzplan erstellt usw. So ist dann auch das Bundesnetzwerk entstanden.

Ricarda Kluge: Ich würde nochmal einen Schritt zurückgehen: 2017 waren die Frauenbeauftragten gesetzlich verankert. Bevor es aber zu dem Gesetz kam, gab es auch schon viele Vorüberlegungen, also die Idee der Frauenbeauftragten ist schon älter. 2017 war aber mit der gesetzlichen Verankerung die Sorge, dass das Amt der Frauenbeauftragten für viele Frauen und auch Einrichtungen sehr neu und überfordernd sein kann und sie deswegen eine Unterstützungsstruktur brauchen. Im Gegensatz zu den Werkstatträten, die ja mehrere sind, sind Frauenbeauftragte oft Einzelkämpferinnen in den Werkstätten und es war klar, dass sie eine Stärkung brauchen, indem sie sich zusammentun und austauschen zu können, um gemeinsam zu wachsen und eine gemeinsame Position zu entwickeln. So kam es zu der Idee, eine bundesweite Interessensvertretung aufzubauen, die den Frauenbeauftragten eine starke Stimme geben kann, damit sie vor Ort in den Werkstätten nicht allein sind und nicht mit den herausfordernden Aufgaben einer Frauenbeauftragten überfordert sind.

Was ist das große politische Ziel des Bundesnetzwerks für Frauenbeauftragte? Spielt der Schutz vor sexueller Belästigung im Netzwerk eine Rolle? Braucht das Netzwerk etwas zum Thema?

Nicole Burek: Das Thema ist auch für das Bundesnetzwerk sehr wichtig. Da ist es sehr hilfreich, Informationsmaterialien in Leichter Sprache zu haben. Wir überlegen, wie der Schutz vor sexueller Belästigung vor Ort überhaupt gewährleistet werden kann. Was kann ich machen, damit die Frauen sich stärken und auch lernen Nein zu sagen? Es ist ja auch ganz oft so, dass Frauen, die sexuell belästigt wurden, gar nicht wissen, dass sie gerade belästigt worden sind. Und da ist Aufklärung total wichtig, vor allem für diejenigen Frauen, die Mehrfachbehinderungen haben. Da ist es eine ganz besondere Herausforderung, ihnen das verständlich zu machen. Wir als Bundesnetzwerk schauen dann, wie wir die Frauen und die Frauenbeauftragten vor Ort gut unterstützen können. Informationsmaterialien, Öffentlichkeitsarbeit, das Thema immer wieder auf den Tisch packen etc. Das sind die wichtigen Dinge, die wir tun. In NRW ist es momentan so, dass es Rahmenvereinbarungen gibt: Die Werkstätten müssen dann, wenn sie in diese Rahmenvereinbarung eintreten, innerhalb eines Jahres ein Gewaltschutzkonzept entwickeln, und zwar in Zusammenarbeit mit den Frauenbeauftragten und den Werkstatträten. Wünschenswert wäre, dass es so etwas auch bundesweit gibt. Werkstätten brauchen Gewaltschutzkonzepte und dafür setzen wir uns ein.

Ricarda Kluge: Also sexuelle Belästigung war ab der ersten Minute ein Thema, denn viele Frauen sind in den Werkstätten von sexueller Belästigung betroffen. Uns ist es wichtig, die individuelle Perspektive zu berücksichtigen und die betroffenen Frauen zu schützen, aber es ist auch wichtig die strukturelle Ebene nicht zu vergessen und da entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Schutz vor sexueller Belästigung eine Arbeitgeberaufgabe ist. Und das ist vielen Werkstätten nicht klar. Als Bundesnetzwerk setzen wir uns dafür ein, um diese Ebene sichtbar zu machen. Wir wollen eine starke Stimme sein für die Frauenbeauftragten und sie auf allen Ebenen unterstützen und auch dadurch Einfluss auf die Politik haben.  

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Frauen mit Behinderungen sind häufiger von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen. Warum ist es nach wie vor ein Tabuthema?

Nicole Burek: Ich habe selbst Gewalt erlebt und dieses Thema wird in den Werkstätten aber auch in unserer Gesellschaft häufig unter den Teppich gekehrt. In den Werkstätten ist es so, dass es ein sehr männerlastiger Ort ist, es gibt sehr wenig Frauen. Oft werden Gewalterfahrungen auch abgewiesen und es wird gesagt: „Sowas passiert nicht bei uns!“. Es braucht wirklich sehr viel Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit, gerade bei den Mitarbeiter*innen in den Werkstätten. Die Geschäftsführung der Werkstätten müssen in die Pflicht genommen werden. Es müssen AGs gebildet werden, die sich dann Konzepte und Handlungsstrategien überlegen, was vor Ort in den Werkstätten getan werden kann: z.B. enge Zusammenarbeit mit den Frauenbeauftragten, Schulungen für Mitarbeiter*innen und Beschäftigte etc.

Wie wird mit dem Thema sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Gewalt am Arbeitsplatz in den Einrichtungen der Behindertenhilfe umgegangen?

Nicole Burek: Allein Gewaltschutzkonzepte zu haben, löst das Problem noch lange nicht. Die betroffenen Frauen müssen gestärkt werden. Sie brauchen WenDo- und Selbstbehauptungskurse. Dann muss natürlich auch Täterarbeit geleistet werden. Das Problem ist nicht damit gelöst, wenn man den Täter einfach in eine andere Werkstatt schickt. Dort würde er ja wieder das Gleiche machen. Die betroffenen Frauen und auch die Frauenbeauftragten brauchen die Unterstützung der Einrichtungsleitung. Auch die Mitarbeiter*innen in den Einrichtungen sind total überfordert, wenn es zu sexueller Belästigung oder zur sexualisierten Gewalt in den Werkstätten kommt. Sie haben eigentlich auch die Möglichkeit z.B. in eine Beratungsstelle zu gehen, um sich beraten zu lassen.

Ricarda Kluge: Es ist wichtig, sich das mehrdimensional anzuschauen. Natürlich ist es ganz klar, dass konkrete Handlungsstrategien notwendig sind zum Umgang mit sexualisierter Gewalt oder sexueller Belästigung. Dann braucht es aber auch ein Arbeitsklima der Offenheit, Transparenz und der Auseinandersetzung mit Sexualität und Gewalt. Es braucht auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Strukturen, die begünstigen, dass Frauen in den Werkstätten belästigt werden. Eigentlich muss es ein Qualitätsmerkmal von einer guten Werkstatt sein, über Konzepte nachzudenken und zu formulieren, wie z.B. das Thema Sexualität in den Werkstätten thematisiert wird? Welchen Umgang gibt es bei Gewalt oder bei Grenzverletzungen? Im besten Fall gibt es dann eine externe Kontrollstelle, wo Werkstätten tatsächlich auch von außen belangt werden können, wenn sie das Thema nicht angehen und wenn Übergriffe einfach ignoriert werden. In Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen gibt es externe Beschwerdestellen, da kann man sich z.B. an die Heimaufsicht wenden, wenn es Alarm schlägt. In den Werkstätten ist es total ungeregelt.

Nicole Burek: Bei uns gibt es zum Beispiel eine externe Anlaufstelle. Das ist eine Frau, die vorher in der Politik tätig war und wir können uns an sie wenden, wenn wir zum Beispiel sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erleben und sie berät uns dann extern und unabhängig. Es ist wichtig, dass es eine externe Person ist, die dann von außen auf unsere Strukturen etc. nochmal draufschaut. Betroffene Frauen haben oft Angst. Sie fragen sich oft, was passiert, wenn ich etwas sage? Werde ich dann sofort meinen Job los? Aber bei einer externen Person ist die Hemmschwelle nicht so groß. Mit der #MeToo-Bewegung hat dann mein Arbeitgeber Bethel, überall in den Krankenhäusern, Werkstätten und Wohnheimen externe Anlaufstellen eingerichtet. Das war ein wichtiger Schritt.

Ricarda Kluge: Das ist toll, dass es das bei Bethel gibt. Aber so auf freiwilliger Basis wird es flächendeckend nicht funktionieren. Meine Idee wäre, dass ganz bei den Kostenträgern anzusiedeln. Die Kostenträger führen ja sowieso Qualitätskontrollen in den Einrichtungen durch und die Kostenträger könnten als Qualitätsmerkmal verlangen, dass Einrichtungen externe Anlaufstellen für den Gewaltschutz brauchen.  

Was fehlt? Was brauchen Sie? Was wünschen Sie sich, damit die Situation sich verbessert?

Ricarda Kluge: Es braucht noch mehr Öffentlichkeitsarbeit für die Themen Sexualität, Behinderungen und Gewalt in den Einrichtungen. Es braucht auch eine enge Zusammenarbeit und Vernetzung mit den Frauenberatungsstellen vor Ort oder auch den Gewaltschutzambulanzen, damit sich die Einrichtungen, die ja in sich sehr geschlossene Systeme sind, öffnen können.    

Rechtliche Instrumente

Welche Hürden und Barrieren lassen sich in der Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in Einrichtungen der Behindertenhilfe erkennen? Sind Menschen mit Behinderungen, die in den Werkstätten arbeiten, ausreichend geschützt?

Nicole Burek: Ich als Frauenbeauftragte arbeite sehr viel mit dem AGG. Aber mir ist aufgefallen, dass sehr viele gar nicht über dieses Gesetz Bescheid wissen. Das muss auf jeden Fall in den Einrichtungen bekannter gemacht werden. Die Mitarbeiter*innen in den Werkstätten sind durch das AGG geschützt. Aber bei den Beschäftigten, also bei den Menschen mit Behinderungen ist es so, dass da ein anderes Beschäftigungsverhältnis herrscht und sie sind nicht ausreichend genug durch das AGG geschützt. Es ist sehr wichtig, dass das AGG die Menschen, die in den Werkstätten arbeiten auch mitdenkt und miteinschließt. Wenn das Gesetz richtig ausgelegt wird, dann nimmt es den Frauen auch so viel Angst weg und gibt ihnen auch nochmal mehr Handlungsfähigkeit.

Ricarda Kluge: Ja, das ist wirklich dieses Problem mit dem arbeitnehmerähnlichem Arbeitsverhältnis in den Werkstätten und da ist oft so eine Art Hintertür, wo der Gewaltschutz ausgehebelt wird. Das ist auch so ähnlich in den Wohneinrichtungen. Wenn es in den Wohneinrichtungen zu Übergriffen oder häuslicher Gewalt kommt, dann gilt oft die Regel „Wer schlägt der geht!“ nicht. Der Grund ist das Rehabilitationsrecht des Täters. Denn auch der Täter hat ein Recht auf einen Wohnplatz in einer Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderungen und da tun sich die Einrichtungen echt schwer Lösungen zu finden. Deswegen ist es wichtig, sich diese Schnittstellen Gewaltschutz, Rehabilitationsrecht, AGG nochmal genauer anzuschauen. Ich denke, dass es Spielräume gibt und die müssen ausgeschöpft und in den Einrichtungen gut kommuniziert werden. Die Kostenträger tragen die Verantwortung dafür, dass der Gewaltschutz in den Einrichtungen gewährleistet ist. Natürlich wollen sie auch, dass alle Rehabilitand*innen untergebracht werden, aber das muss auch unter dem Aspekt Gewaltschutz funktionieren.

Die UN-BRK und die Istanbul-Konvention sind wichtige politische Instrumente, um gegen Gewalt an Frauen mit Behinderungen vorzugehen und sie in ihren Rechten zu stärken. Wie sehen aktuell die Umsetzungsbestrebungen in Deutschland aus?

Nicole Burek: Meines Erachtens gibt es da noch sehr viel zu tun. Anstatt in großen Schritten vorwärts zu gehen, habe ich eher das Gefühl, dass wir uns in der Umsetzung mit sehr kleinen Schritten vorwärtsbewegen. Dass wir z.B. Frauenbeauftragte wählen durften, haben wir auf jeden Fall der UN-BRK zu verdanken. Aber allein durch die gesetzliche Verankerung heißt es noch lange nicht, dass wir gut arbeiten können. Wir müssen immer noch dafür kämpfen, dass wir gesehen und gehört werden.

Ricarda Kluge: Was ich mir wünschen würde, wäre auch so eine Art Gewaltschutzstrategie, die sich mit zentralen Fragen auseinandersetzt: Was sind die Ursachen von Gewalt? An welchen Stellen können wir ansetzen? Was braucht es für den Gewaltschutz? Und wie müssen die strukturellen Voraussetzungen aussehen? Aber was ich hier nochmal erwähnen muss ist, dass die Pandemie extreme Auswirkungen auf die Arbeit der Frauenbeauftragten hat. Wir haben das Gefühl, dass gerade alle anderen Themen viel wichtiger sind und alles was die Frauenbeauftragten die letzten Jahre aufgebaut haben, wird gerade wieder platt gemacht. Im Augenblick ist es sehr schwer, mit all den Themen der Frauenbeauftragten Gehör zu finden. Ich bekomme auch von vielen Frauenbeauftragten mit, dass sie unter den pandemiebedingten Umständen ihre Arbeit nicht gut ausführen können und aufgeben wollen.

Was wünschen Sie sich von make it work? Was können wir tun, um die Perspektiven von Frauen mit Behinderungen, die von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen sind, stärker in den Fokus zu setzen?

Ricarda Kluge: Vor allem in Zeiten der Pandemie würde ich mir von den Frauenberatungsstellen sehr wünschen, dass sie gezielt auf die Frauenbeauftragten in den Einrichtungen zugehen und den Kontakt zu ihnen suchen. Die Frauen könnten jetzt von allen Seiten die Aufmerksamkeit gebrauchen.

Nicole Burek: Die Berater*innen in den Beratungsstellen sind nun mal die Profis, wenn es um Gewaltschutz geht und sie können den Frauen und den Frauenbeauftragten in den Einrichtungen das Gefühl geben, dass sie nicht alleine dastehen. Eine engere Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen den Frauenberatungsstellen und den Frauenbeauftragten ist notwendig. Was ich mir sonst von make it work wünsche, sind Infomaterialien oder Flyer, die auch Frauen mit Behinderungen ansprechen und sie auch aufklären, z.B. auch Erklärvideos in Gebärdensprache.

Ricarda Kluge: Was ich ergänzen möchte ist, dass die Werkstätten auch als Arbeitsorte in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Für viele ist es kein Teil der Arbeitswelt, sondern irgendetwas was irgendwo irgendwie extra stattfindet. Wir könnten uns z.B. auch die Frage stellen: Wie lassen sich Werkstätten auch mit Gewerkschaften zusammendenken? Inwiefern können wir Frauen in den Werkstätten auch als arbeitende Frauen verstehen und Werkstätten auch als Arbeitsplätze? Ich denke, dass es da sehr viele Anknüpfungspunkte gibt, die total Sinn machen würden.

Dankeschön für Ihre Zeit und Expertise.

Das Interview führte Ceyda Keskin (makeitwork@bv-bff.de) vom bff-Projekt „make it work! Für einen Arbeitsplatz ohne sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Gewalt“.