Interview mit Melanie Rosendahl, Leiterin des Frauennotruf Bielefeld und Koordinatorin der make it work!- Fokusregion Bielefeld zum Thema Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Pflege
„Viele Kliniken und Einrichtungen haben für das Thema der Belästigung durch Patienten und Patientinnen durchaus eine Offenheit. Wenn es aber um Belästigung durch Vorgesetzte und Kolleg*innen gibt, knirscht es immer noch ein bisschen.“
Melanie Rosendahl ist Dipl. Psychologin und seit 2000 Geschäftsführerin des Frauennotruf Bielefeld e.V. Von 2019-2021 war sie die Koordinatorin der „make it work!“ Fokusregion Bielefeld, wo sie schwerpunktmäßig zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Pflege mit verschiedenen Bielefelder Klinken und Pflegeinrichtungen zusammengearbeitet hat. Vor ihrer Arbeit als Beraterin arbeitete sie als Psychologin im Bereich Fortbildung und Elternarbeit sowie in der Kinderklinik Hamm (Diagnostik und Elternberatung). Zudem hat Melanie Rosendahl einer Ausbildung zur examinierten Pflegefachkraft absolviert und war in den Bereichen Chirurgie und Psychiatrie tätig. Seit 2011 ist sie nebenberuflich tätig als Supervisorin in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Alten- und Krankenpflege, Behindertenhilfe, Psychiatrie, Palliativmedizin sowie in der Vereinsberatung.
Liebe Melanie, bitte stell dich und den Frauennotruf kurz vor.
Melanie Rosendahl: Ich bin Diplom-Psychologin und Supervisorin und arbeite seit mehr als 20 Jahren im Frauennotruf Bielefeld. Dort bin ich als Beraterin und Leitung des Frauennotrufs tätig. Vor meinem Studium habe ich eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, so war damals die offizielle Berufsbezeichnung. Vor und während des Studiums habe ich einige Zeit in diesem Bereich gearbeitet und konnte insofern im Rahmen der Fokusregionenarbeit zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Pflege an diese beruflichen Erfahrungen anknüpfen.
Der Frauennotruf Bielefeld ist eine Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt. Wir bieten Beratung und Begleitung für Frauen und Mädchen ab 16 Jahren an, die verschiedenste Formen sexualisierter Belästigung und Gewalt erlebt haben. Neben der Beratung machen wir Fortbildungs- und Öffentlichkeitsarbeit und haben viele zielgruppenspezifische Angebote mit den Schwerpunkten Frauen mit Zuwanderungsgeschichte und Frauen mit Beeinträchtigung.
Von Mai 2019 bis August 2021 habt ihr in Bielefeld die „make it work“-Fokusregion geleitet, Schwerpunkt war das Thema Pflege. Warum habt ihr den Fokus auf diesen Bereich gelegt? Was war eure Motivation euch als Fokusregion zu bewerben?
Melanie Rosendahl: Das war eigentlich eine zufällige Begegnung mit einer ehemaligen Arbeitskollegin aus dem Bereich der Krankenpflege, die inzwischen eine große Krankenpflegeschule leitet. Wir kamen über den Frauennotruf ins Gespräch und sie hat mich angesprochen, ob wir vom Frauennotruf einen Workshop für die Auszubildenden in der Schule geben könnten zum Thema sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz. Sie weiß, dass es ein häufig vorkommendes Thema ist, dass es wichtig ist die Auszubildenden auf grenzüberschreitendes Verhalten vorzubereiten und das Thema sexuelle Belästigung schon frühzeitig in der Ausbildung zur Pflegefachkraft anzusprechen. Wir als Frauennotruf bieten bereits seit vielen Jahren Fortbildungen zu dem Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz an. Als die Ausschreibung für die Fokusregionenarbeit des „make it work!“-Projekt veröffentlicht wurde, war die Anfrage meiner ehemaligen Kollegin grade reingekommen. Wir haben uns dann als Fokusregion beworben, weil wir es wichtig fanden zusätzliche Ressourcen zu haben, den Bereich der Pflege genauer zu betrachten und um zu sehen, wie wir das Thema Schutz vor Belästigung am Arbeitsplatz Pflege in Kliniken und Einrichtungen einbringen können. Unser Ziel war es Fortbildungen und Konzepte anbieten zu können, die speziell auf diese Zielgruppe zugeschnitten sind. Dann sind wir Fokusregion geworden, das war super!
Wie arbeitet ihr im Notruf zum Thema sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz?
Melanie Rosendahl: Das war ja immer schon ein Thema in der Beratung, als Anliegen von betroffenen Frauen. Es ist aber auch so, dass wir vor mehr als 20 Jahren eine Kooperation mit der Gleichstellungsstelle der Universität Bielefeld angefangen haben. Dort haben wir ein externes Beratungsangebot vor Ort aufgebaut und bieten mittlerweile ein spezielles Erstberatungsangebot für Student*innen und Mitarbeiter*innen der Universität Bielefeld an. Das war ein erster systematischer Zugang zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeits- und Studienplatz. Wir sind seit Beginn der Zusammenarbeit an der strukturellen Entwicklung der Uni diesbezüglich beteiligt.
2014 haben wir dann angefangen, erst in diesem universitären Kontext und dann im Kontext von Frauen in Behinderteneinrichtungen und Werkstätten, Fortbildungen zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz anzubieten. Es gab viele Anfragen aus diesem Bereich und wir hatten durch unsere langjährige Arbeit bereits die Fachexpertise, die gebraucht wird. Dann haben wir bei den bff-Kolleginnen von der Frauenberatungsstelle Osnabrück die Train the Trainer-Fortbildungen mitgemacht, um uns zu vernetzen und methodisch neue Impulse zu bekommen. Seitdem bieten wir Fortbildungen für die unterschiedlichsten Einrichtungen, also Universitäten, Fachhochschulen, Stadtverwaltungen und jetzt auch zunehmend für den Pflegebereich an. Die Anfragen und das Interesse steigen und nehmen durchaus zu, sodass wir diesen Bereich ausbauen wollen.
Warum passieren grade im Pflegbereich so oft Belästigungen und Gewalt? Was können Betriebe eurer Erfahrung nach tun um Mitarbeitende besser zu schützen?
Melanie Rosendahl: In der Pflege gibt es mehrere begünstigende Faktoren: ein wichtiges Thema ist sicherlich Nähe und Distanz im Rahmen von Pflegehandlungen, zum Beispiel bei der Unterstützung bei der Körperpflege. Ich komme eigentlich fremden Menschen sehr nahe. In diesen Situationen wird die körperliche Nähe entweder bewusst ausgenutzt, manchmal gibt es aber auch Irritationen darüber. Ich denke da beispielsweise an Menschen mit Demenzerkrankungen: Da kann es natürlich sein, dass sie die Situation einfach verwechseln mit früheren intimen Situationen und daran dann anknüpfen, weil sie auf bestimmte Reize oder Erinnerungen reagieren. Das Ganze erfolgt dann also eher unbeabsichtigt oder eben nicht vorsätzlich.
Ein weiterer Punkt ist sicherlich ein altes Rollenbild der Krankenschwester, die stets für die Bedürfnisse von Anderen da ist. Wir kennen ja alle sexy Karnevalskostüme, wo das auf den Punkt gebracht wird. Das sind Bilder, die Stereotype prägen und manchmal bei einigen Patienten befördern, dass sie grenzüberschreitendes Verhalten austesten. Manchmal vielleicht auch aus einer Motivation heraus – es geht ja immer um Macht – sich als Mann gegenüber einer weiblichen Pflegekraft „ausgeliefert“ zu fühlen und über Belästigungen zu versuchen, solche Gefühle ein Stück weit zu kompensieren und „Stärke“ demonstrieren zu können. Dabei wird auf Mechanismen – wie etwa sexualisierte Kommentare, Blicke oder Berührungen - zurückgegriffen, die in unserer Gesellschaft verbreitet sind, um Macht auszuüben. In der Arbeit von Pflegfachkräften kommen solche Situationen oft vor und zeigen wie hoch das Risiko sein kann sexuell belästigt zu werden. Umso wichtiger ist es, dass die Pflegeeinrichtungen und Kliniken die Problematik erkennen und ernst nehmen und Vorfälle sexueller Belästigung nicht zu einem individuellen Problem erklären. Es muss klar sein, dass es dahinter ein strukturelles Problem gibt und die Klinik, Leitungs- und Personalverantwortliche eben auch verantwortlich dafür sind, Haltung zu beziehen und den Schutz vor sexueller Belästigung in den Einrichtungen zum Thema zu machen. Dafür müssen Handlungsleitfäden oder Betriebsvereinbarungen erstellt werden und es muss klar signalisiert werden, an alle Beschäftigten, aber auch an alle die dort Kund*innen sind, dass übergriffiges Verhalten nicht erwünscht ist und es Unterstützung gibt für Betroffene.
Warum ist grade der Schutz von Auszubildenden und Berufsanfänger*innen so wichtig?
Melanie Rosendahl: Zunächst einmal gibt es ja Studien, die darauf hinweisen, dass Auszubildende in erhöhtem Ausmaß von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen sind. Wenn man beispielsweise Kliniken betrachtet wird deutlich, dass es sich um sehr hierarchische Organisationen handelt. Hierarchien können sexuelle Belästigung begünstigen, insofern stehen Auszubildende in einer besonderen Abhängigkeit. Sie sind auf Bewertungen von Vorgesetzten angewiesen und wollen gute Arbeit machen. Deshalb sind sie auch leichter zu erpressen, zu nötigen oder zu verunsichern. Oft wissen Auszubildende nicht wie sie mit belästigenden Situationen umgehen sollen. Dazu kommt ja noch, dass sie jung sind und ausgenutzt wird, dass sie weniger Berufs- oder Lebenserfahrung haben. Zum anderen wird der Umgang mit risikoreichen Berufssituationen, zum Beispiel der Umgang mit Nähe und Distanz, erst im Rahmen der Ausbildung oder im Laufe des Berufsalltags erlernt. Viele Auszubildende wissen nicht: Was ist ein professioneller Umgang? Was die passende Nähe und was die notwenige Distanz zum Beispiel im Umgang mit Patient*innen? Das sind Erfahrungswerte, die den Auszubildenden fehlen, die aber wichtig sind um gerade Berufsanfänger*innen vor sexuellen Grenzüberschreitungen zu schützen und ihnen frühzeitig Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Deshalb ist es so wichtig, Schutz vor sexueller Belästigung zum Ausbildungsinhalt zu machen.
Es gibt auch heute noch immer Situationen, in denen die Auszubildenden ausgetestet werden, manchmal von Patient*innen, aber durchaus auch von Kolleg*innen, die auf diese Weise versuchen Macht auszuüben. Auszubildende werden unvorbereitet und unbegleitet in riskante Situationen geschickt um sprichwörtlich „auszutesten“ wie ein junger Mensch damit umgeht. Es kommt leider durchaus noch vor, dass eine junge Auszubildende in ein Zimmer geschickt wird und danach gefragt wird, was sie zu Anzüglichkeiten eines Patienten zu sagen hat und wie sie damit umgeht.
Ihr habt sowohl mit großen Klinken zusammengearbeitet als auch mit kleineren Betrieben aus dem Bereich der ambulanten Pflege. Was ist euch bei Zusammenarbeit aufgefallen? Wo liegen insbesondere bei kleinen Betrieben Herausforderungen um das Thema Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz anzugehen?
Melanie Rosendahl: Es ist oft eine Frage von Ressourcen: Es braucht Personal, das heißt es kostet Geld und Zeit, sich mit dem Thema zu beschäftigen, wenn man tatsächlich innerhalb des eigenen Betriebes etwas entwickeln und etablieren möchte. In kleineren Einrichtungen, wo es keinen großen Träger im Hintergrund gibt, ist das mit Sicherheit nochmal eine ganz andere Frage als in großen Einrichtungen, die an bestimmte Abteilungen delegieren können. Die Ressourcenfrage war natürlich auch insbesondere in der Pandemiezeit ein zentrales Thema. Viele Einrichtungen mussten ihre Ressourcen neu planen und entscheiden, welche Themen in dieser Zeit der kompletten Überlastung des Gesundheitsbetriebs im Vordergrund stehen. Das ist natürlich wichtig zu berücksichtigen.
In den kleineren Einrichtungen gibt es noch die Problematik, dass sich Beschäftigte, Patient*innen, Angehörige untereinander kennen. Wenn wir an eine vertrauliche Erstberatung oder Beschwerdestelle denken, da kann es für Betroffene unter Umständen sehr schwer sein irgendwohin zu gehen. Oft ist schnell klar: Wenn ich auch nur andeute, was passiert ist, dann ist auch eigentlich offensichtlich, wer das gewesen sein kann. Das macht es für Betroffene nochmal schwieriger, sich an eine Anlaufstelle zu wenden. Aber auch für die Einrichtungen ist es schwerer zu überlegen: Wer kann in solchen Fällen ein*e betriebliche*r Ansprechpartner*in sein? Grund dafür ist, dass es natürlich Interessen- oder Loyalitätskonflikte geben kann.
Eine wichtige Erkenntnis im Projekt war, dass unabhängig davon, ob es eine große oder kleine Einrichtung ist, es immer Menschen braucht, denen das Thema Schutz vor sexueller Belästigung wichtig ist, aus welchen Gründen auch immer. Es hat sich gezeigt, dass wir eine Reaktion bekommen haben von Menschen, die in Kooperation mit uns gehen wollten, oder die durch das Beratungs- und Unterstützungsangebot gemerkt haben, dass sie sich in ihrem Bereich aufstellen müssten. Es gab im Rahmen unserer vielen Veranstaltungen und unserer Netzwerkarbeit immer eine Person aus den Einrichtungen, die das Thema aktiv in den eigenen Betrieb einbringen wollte. Um Veränderung anzustossen und Schutz vor sexueller Belästigung wirksam umzusetzen in Klinken und Einrichtungen braucht es immer eine konkrete, interessierte Ansprechperson, die dran bleibt!
Aktuell hat die BGW eine neue Studie zu Belästigungen seitens Patient*innen gegenüber Beschäftigten aus dem Gesundheits- und Sozialwesen herausgebracht. Welche Erkenntnisse zieht ihr aus der Studie für eure Arbeit gegen sexuelle Belästigung im Bereich Pflege?
Melanie Rosendahl: Die BGW Studie hat Übergriffe durch Patienten, Bewohner und Werkstattbeschäftigte gegenüber Mitarbeitenden in der Alten- und Krankenpflege sowie im Behindertenbereich untersucht. Insofern hat die Studie nur einen Teilaspekt der Übergriffe beforscht. Gleichwohl zeigt sich ein erhebliches Ausmaß verbaler, nonverbaler und körperlicher Übergriffe. Außerdem wird ein signifikanter Zusammenhang zu psychischen Beschwerden und Erkrankungen der Mitarbeitenden deutlich. Insofern nutzen wir diese Studie natürlich schon als Hinweis, dass es ein wichtiges Thema für Einrichtungen im Gesundheitsbereich ist. Personalverantwortliche haben ein Interesse daran die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit ihrer Beschäftigten zu erhalten. Da kann es natürlich hilfreich sein, auf aktuelle Erhebungen verweisen zu können. Zum Beispiel nutzen wir diese Zahlen im Rahmen von Schulungen, damit den Teilnehmenden das Ausmaß und die Folgen von Belästigungen deutlich wird. Dabei ist es uns wichtig zu betonen, dass Belästigungen gerade im Pflegebereich einerseits viel zu tun haben mit Hierarchien, die übergriffiges Verhalten begünstigen können. Zum anderen spielt aber natürlich auch der nahe Kontakt, die Aufgabenstellung, oder die aufsuchende Arbeit in der ambulanten Pflege eine Rolle, warum so viele Beschäftigte Belästigungen erfahren. Das ist aber leider bisher noch nicht ausführlich beforscht worden.
In den letzten Wochen und Monaten sind vermehrt Meldungen über Vorfälle von sexueller Belästigung und Gewalt in Klinken seitens Ärzten gegenüber Patient*innen berichtet worden. Warum ist es grade in Kliniken so schwer, interne Vorfälle (seitens Ärzten, Vorgesetzten, Kolleg*innen) zu thematisieren? Warum ist es so wichtig, dass Arbeitgeber*innen schon aktiv werden bevor ein Vorfall öffentlich wird?
Melanie Rosendahl: Das ist ein Aspekt, der bisher noch gar nicht untersucht wurde, also wie weit verbreitet Übergriffe durch das kollegiale Umfeld und die Ärzteschaft sind. Wenn wir auf das gesellschaftliche Bild schauen, das auch heute noch von Ärzten vorherrscht, dann müssen wir feststellen, dass Ärzte als unfehlbare Personen wahrgenommen werden. Ich glaube, wir als Menschen sehen immer nur das, wovon wir wissen, dass es da ist. Wenn ich gar nicht weiß, dass es auch Ärzte gibt, die übergriffig sind, dann nehme ich das als außenstehende Person wahr und habe ein komisches Gefühl, aber ich verdränge dieses Gefühl möglicherweise. Manchmal ist es vielleicht sogar bei den Betroffenen selbst so, dass sie versuchen eine andere Begründung dafür zu finden, dass es eine verbale sexuelle Belästigung gab, nach dem Motto: „Das kann ich ja nur falsch verstanden haben“. Es passt einfach nicht zu unserem Weltbild und das macht es nochmal so viel schwerer, Belästigung durch Ärzte zu erkennen und zu thematisieren. Es ist auch spürbar, dass es Widerstände in den Kliniken gibt, sich ein Fehlverhalten insbesondere von Ärzten anzugucken. Viele Kliniken und Einrichtungen haben für das Thema der Belästigung durch Patienten und Patientinnen durchaus eine Offenheit. Wenn es aber um Belästigung durch Vorgesetzte und Kolleg*innen gibt, knirscht es immer noch ein bisschen. Das hat auch nichts mit einer Verunglimpfung einer Berufsgruppe zu tun, es geht ja eher darum zu sagen, das kommt in allen Kontexten vor und die Täter kommen aus allen Kreisen und allen Berufsgruppen.
Aber gerade deshalb ist es so wichtig, das zu enttabuisieren, damit die Betroffenen Möglichkeiten haben, sich zu wehren und auch ein Gefühl dafür zu haben, ich bekomme Unterstützung, das ist nicht in Ordnung was mir passiert ist.
Welche Erfolge habt ihr gehabt? Wie seid ihr vorgegangen um Führungskräfte aus dem Bereich Pflege zu erreichen?
Melanie Rosendahl: Ganz wichtig war in diesem Zusammenhang der Fachtag, den wir im November 2019 veranstaltet haben. Dieser Tag ist mir noch in sehr lebendiger Erinnerung. Einerseits war der Fachtag selbst eine sehr gelungene Veranstaltung für die wir sehr gutes Feedback von den Teilnehmenden bekommen haben. Die Veranstaltung war aber tatsächlich auch der erste Anlass die Fokusregionenarbeit zum Thema Schutz vor Belästigung in der Pflege in Bielefeld und Umgebung bekannt zu machen. Die Vorbereitung der Veranstaltung erforderte es gezielt Personen aus Kliniken und Einrichtungen anzusprechen, um über dieses Thema ins Gespräch zu kommen. Ich muss schon sagen, das war kein Selbstläufer, dass es Anmeldungen gegeben hat zu dem Fachtag. Es war notwendig, sehr gezielt Personen aus den Kliniken und Pflegeeinrichtungen anzusprechen und auf die Bedeutung des Themas hinzuweisen, um dann zu schauen, dass es aus den verschiedenen Einrichtungen tatsächlich Teilnehmende gab. Diese Kontaktaufnahmen haben sich über den Fachtag hinaus zum Teil bewährt und auch fortgesetzt. Der Fachtag war ein richtig guter Aufhänger für die Vernetzung hier vor Ort und für die Ansprechpersonen aus den Klinken und Einrichtungen, es sind gute Kontakte entstanden. Besonders froh bin ich darüber, dass die Kontakte in dem Bereich der Pflege-Ausbildung so gut funktioniert haben, also zu einer großen Pflegeschule. Dort ist es uns gelungen, Praxisanleitende im Nachgang dieses Fachtags nochmal gesondert zu schulen und damit zu erreichen, dass die Auszubildenden entsprechend gut begleitet werden. Durch Kontakt zu einem Studiengang im Bereich der Pflegepädagogik biete ich jetzt schon zum zweiten Mal in einem Jahrgang ein Seminar für angehende Pflegepädagog*innen an, so dass das Thema auch in die Ausbildungsinhalte getragen wird. Durch Kontakte in den ambulanten Bereich haben wir in einem Online-Workshop einen Überblick über das Thema Schutz vor sexueller Belästigung gegeben. Aus diesem Online-Vortrag sind dann Kontakte zu ambulanten Pflegediensten in Bielefeld entstanden, die z.T. größere Wohlfahrtsverbände hinter sich haben. Auch da setzt sich jetzt die Arbeit innerhalb dieser größeren Verbände fort, es gibt also schon einen Schneeballeffekt. Das ist schön zu sehen, dass der Arbeitsbereich wächst und das Projekt so nachhaltig ist.
Ihr bietet Schulungen für Führungskräfte an und habt auch Angebote für Praxisanleiter*innen und Studierende entwickelt. Was sind spezifische Inhalte die ihr in den Fortbildungen vermittelt, was ist das Ziel der Fortbildungsarbeit?
Melanie Rosendahl: Wir stützen alle unsere Angebote auf das Train-the-Trainerinnen Konzept der Kolleginnen von der Frauenberatungsstelle Osnabrück, die das Konzept mit der spezifischen Ausrichtung auf Schutz vor Belästigung in der Pflege weiterentwickelt haben. Aus meiner Sicht geht es vor allem darum, in den Fortbildungen für die Thematik überhaupt zu sensibilisieren und entsprechende Handlungskompetenzen zu vermitteln. Die Grundgerüste für unsere Fortbildungen sind unabhängig von den einzelnen Bereichen sehr ähnlich. Es geht immer um die Fragen: Was ist sexuelle Belästigung? Wie ist die rechtliche Situation? Was ist wichtig für eine Gesprächsführung? Was ist Erstberatung und was ist der Unterschied zur Beschwerdestelle? Das sind alles wichtige inhaltliche Punkte.
Bei Fortbildungen für Fach- und Führungskräfte aus der Pflege arbeiten wir zum einen mit vielen Beispielen, die ganz spezifisch aus dem Pflegebereich kommen, um gut ins Gespräch und in den Austausch kommen zu können mit den Teilnehmenden. Es ist sehr wichtig an ihre Arbeitsfelder und ihren Berufsalltag anknüpfen zu können. Es gibt beispielsweise auch spezifische Aspekte zum Umgang mit dementen Patient*innen, die sexuell übergriffig werden. Das hat einen eigenen Fokus in den Fortbildungen, um gemeinsam zu erarbeiten, wie kann ich als Pflegefachkraft in solchen Situationen konkret damit umgehen. Wenn wir Schulungen für Pflegekräfte machen, arbeiten wir viel mit praktischen Übungen. Wie gehe ich zum Beispiel beim Blutdruck messen damit um, wenn ich merke, da liegt jetzt auf einmal eine Hand auf meinem Po? Wie verhalte ich mich dann? Solche konkreten Situationen werden in den Fortbildungen besprochen und in Kleingruppen werden Handlungsoptionen ausprobiert und ausgetauscht. In den Pflegesituationen sind die Überraschungsmomente oft so groß, wenn Grenzüberschreitungen passieren. Es gibt bei vielen Teilnehmenden die Idee, besonders schlagfertig sein zu müssen in solchen Situationen. Wir machen dann immer deutlich, dass es ganz simple Prinzipien gibt, die man beachten kann. Es ist nicht nötig jedes Mal eine schlagfertige Antwort parat zu haben, sondern man kann sagen „Nein, nehmen Sie Ihre Hand weg“.
Wie geht es mit dem Thema bei euch weiter?
Melanie Rosendahl: Wir knüpfen an diese bestehenden Kontakte aus der Fokusregionenarbeit an, haben dieses Jahr noch eine Reihe an Fortbildungen und es gibt die Überlegung, Infoveranstaltungen zu machen, die einen überregionalen Charakter haben. Vor allem ist eine Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden denkbar, die zum Beispiel auch verschiedenste Pflegeeinrichtungsleiter*innen vor Ort repräsentieren und die sich regelmäßig treffen. Da soll es dann auch Inputs zu dem Thema Schutz vor Belästigung am Arbeitsplatz Pflege geben, damit sich das Wissen zum Thema über die Netzwerke der Wohlfahrtsverbände in die verschiedenen Regionen verbreiten kann. Die Zusammenarbeit mit den Kliniken vor Ort wird sich auch weiterentwickeln und das ist ganz schön, dass das so organisch wächst.
Was wollt ihr anderen mitgeben, die ähnlich wie ihr einen Fokus auf den Bereich Pflege legen wollen und dort die Akteur*innen erreichen wollen? Was sind die wichtigsten Punkte, die es zu beachten gilt?
Melanie Rosendahl: Die erste Frage wäre: Kenn ich da schon jemanden aus einer Einrichtung oder Klink vor Ort? Mein Tipp wäre den Kontakt gezielt aufzunehmen, denn eine konkrete Ansprechperson ist manchmal ein ganz guter Türöffner. Bei uns haben sich auch Veranstaltungen als gutes Instrument der Kontaktaufnahme herausgestellt. Das muss kein ganzer Tag sein, auch eine kleinere Veranstaltung bietet sich an, um ein kleines Angebot zu machen und Ansprechpersonen aus Kliniken und Einrichtungen über Angebote der Beratungsstelle zu informieren. Anhand der Teilnehmenden kann man sehen wer für das Thema ansprechbar und interessiert ist. Es ist gut bei den Personen anzufangen, die offen sind und etwas bewegen wollen. Es gibt immer wieder Leitungspersonen aus Pflegebetrieben, die sich für den Schutz vor sexueller Belästigung in ihrem Betrieb einsetzen wollen und die kann man auf solchen Veranstaltungen finden. Manchmal ist es auch leichter, einen Einstieg in das Thema zu finden, wenn man auf die Belästigung durch Bewohner*innen oder Patient*innen fokussiert, da gibt es teilweise eine leichtere Öffnung für das Thema. Wenn man Pflegekräfte danach fragt, hat jede*r seine oder ihre Geschichte dazu. Im weiteren Kontakt, wenn sich was entwickelt, kann man mit weiteren Risikofaktoren oder Belästigungsfaktoren weitermachen und bsp. Belästigung durch Kolleg*innen und Vorgesetzte ansprechen.
Worauf man sich zu einen einstellen muss ist, dass sich die meisten Einrichtungen eine schnelle Lösung wünschen. Eine Frage die häufig vorkommt ist, ob es Plakate zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gibt, die aufgehangen werden können.
Worauf man sich zudem einstellen muss ist, dass man ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten muss, dass das ein Thema ist, was angegangen werden soll, aber eine gewisse Zeit und Ruhe braucht, um es wirklich als Top-Down Problem oder als Top-Down Lösung anzugehen. Es setzt bei der Leitungsebene an und beginnt mit einer klaren Haltung und daraus kann eine Betriebsvereinbarung oder ein Leitfaden oder eine andere Maßnahme entwickelt und umgesetzt werden. Ganz klar ist: Es müssen also erst Strukturen im Betrieb gegen sexuelle Belästigung und Unterstützungsangebote geschaffen werden, bevor ich das Thema durch ein Plakat bewerben kann. Es ist wichtig, dass wenn Betroffene in irgendeiner Form ermutigt werden sich Hilfe zu suchen, dass ihnen auch klar ist, was sie eigentlich erwartet und was sie selbst erwarten können, wenn sie im Betrieb einen Vorfall ansprechen. Es ist daher total wichtig, dass mit dem Thema seitens der Leitung gut und professionell umgegangen wird.
Ein professioneller Umgang seitens der betrieblichen Ansprechpersonen ist so wichtig und das sehen wir insbesondere, wenn wir uns die Situation Betroffener angucken. Als betroffene Person weiß ich gar nicht was schlimmer ist:
Wenn ich sexuelle Belästigung erlebe und nichts mache, weil ich nicht weiß, was ich machen soll oder an wen ich mich wenden kann.
Oder ich erlebe Belästigung und wende mich vertrauensvoll an eine Stelle in meinem Betrieb, von der ich denke mir wird geholfen, aber mache dann die Erfahrung, dass mir nicht geholfen wird oder sogar alles noch schlimmer wird.
Das wäre ein großer Vertrauensbruch, deshalb ist es so wichtig, das Thema gut vorzubereiten. Das heißt aber auch: die Zeit- und Ressourcenfragen müssen von Anfang an mitkommuniziert werden. Der Beratung und Begleitung durch eine Fachstelle für den Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung ist nichts ist, was man mal eben so macht. Es eine Entscheidung der Einrichtung, sich Wissen anzueignen, Maßnahmen anzugehen und die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Stehst du zur Verfügung, um deine Erfahrungen weiter zu geben?
Melanie Rosendahl: Ja, sehr gerne für Anfragen und Austausch. Es gibt ja auch andere Einrichtungen, die in dem Bereich schon was gemacht haben oder noch machen und ich glaube, dass wir alle voneinander profitieren können. Ich habe großes Interesse daran!
Dankeschön für deine Zeit und deine Expertise!
Das Interview führte Larissa Hassoun (makeitwork@bv-bff.de) vom bff Projekt „make it work! Für einen Arbeitsplatz ohne sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Gewalt“.