Voraussetzungen für eine bedarfsgerechte Unterstützung gewaltbetroffener Frauen und Mädchen

Damit gewaltbetroffene Frauen und Mädchen, deren soziales Umfeld und Fachkräfte gut unterstützt werden können, braucht es:

  • ein bundesweit dichtes Netz an spezialisierten Fachberatungsstellen, um zeitnahe Hilfe und Unterstützung erhalten zu können

  • eine sichere Finanzierung der Fachberatungsstellen, damit diese ihre vielen Aufgaben erfüllen können

  • ein barrierefreies, qualitativ hochwertiges Netz an Hilfs- und Unterstützungsangeboten auch über die Fachberatungsstellen hinaus (Kinderschutzzentren, Gesundheitsangebote für Frauen, Frauenhäuser, ausreichende Anzahl an Therapieplätzen, Angebote der Selbstbehauptung und Selbstverteidigung, Angebote für gewaltbetroffene Jungen und Männer sowie Angebote der Täterarbeit)

In jeder Region mit einem Einzugsbereich von 100.000 Personen muss der ambulante Beratungsbedarf zu folgenden Themen abgedeckt sein:

  • Unterstützung von gewaltbetroffenen erwachsenen Frauen und ihren Bezugspersonen zu den Themen sexualisierte Gewalt (aktuell oder früher), Gewalt in Partnerschaften inkl. Angebote für mitbetroffene Kinder, Stalking, psychische und digitale Gewalt

  • Intervention nach Polizeieinsatz, d. h. aktives Zugehen auf Betroffene von Gewalt nach Erhalt eines Polizeiprotokolls

  • Unterstützung bei/nach sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend, Angebote für Mädchen, Frauen und Bezugspersonen

  • Außerdem müssen folgende weitere Themen/ Arbeitsbereiche abgedeckt sein:

    • Qualifizierung des Hilfesystems (Aus- und Fortbildung, Supervision)
    • Präventionsangebote für verschiedene Zielgruppen
    • Sensibilisierung der Öffentlichkeit, Informationen für Betroffene über Hilfsangebote etc.
    • besondere Bedarfe und Problembereiche, z. B. aufgrund von Behinderung, Alter oder notwendiger Verdolmetschung
    • besondere Bedarfe aufgrund sich verändernder Gewaltformen

Diese Aufgaben lassen sich nicht nebenbei bewältigen. Der Leidensdruck der Betroffenen ist hoch, die Situation häufig komplex. Spezialisierte Fachberatungsstellen stellen seit mehreren Jahrzehnten bewährte Angebote zu diesen Themen bereit.

Mindestausstattung von Fachberatungsstellen - Forderungen des bff

Der bff hat Schlüssel zur personellen Ausstattung von Fachberatungsstellen erarbeitet.

Diese Personalressorucen sind notwendig, damit die Beratungsstellen ihre vielfältigen Aufgaben erfüllen können und damit Betroffene von Gewalt niedrigschwellig, zeitnah und ohne Weite Wege Hilfe und Beratung erhalten.

Die Personalressourcen sind einerseits bezogen auf eine Region mit 100.000 Einwohner_innen und einem Stellenanteil, den unabhängig von der Größe einer Region jede Fachberatungsstelle benötigt.

In jeder Region mit 100.000 Einwohner_innen werden mindestens folgende Personalressourcen benötigt:

Arbeitsbereich Personalbedarf je 100 000 Personen Einzugsgebiet

Beratung, Fachberatung, Gruppenangebote

4,5 Vollzeitstellen

Präventions- und Qualifizierungsangebote

2 Vollzeitstellen

ggf. zusätzliche Arbeitsanforderungen aufgrund regionaler Besonderheiten

(z.B. sehr ländliche Region, großes Einzugsgebiet)

0,5 – x Vollzeitstellen

 

Unabhängig von der Größe des Einzugsgebietes sind in jeder Fachberatungsstelle folgende Personalressourcen notwendig:

Arbeitsbereich Personalbedarf je Fachberatungsstelle
Organisation, geschäftsführende Aufgaben, Finanzakquise, Teamleitung

0,5 VZÄ[1]; pro angefangene Vollzeitstelle zusätzlich 0,15 VZÄ

Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung, Gremienarbeit

0,15 VZÄ; pro angefangene Vollzeitstelle zusätzlich 0,1 VZÄ

Verwaltung, Lohnbuchhaltung, Verwendungsnachweise etc.

0,3 VZÄ; pro angefangene Vollzeitstelle zusätzlich 0,2 VZÄ

ggf. zusätzliche Arbeitsanforderungen in der Beratungsstelle

(z.B. aufgrund eines erfolgreichen Onlineangebots, das überregional genutzt wird)

0,3 – x Vollzeitstellen

 

[1] VZÄ = Vollzeitäquivalent = Vollzeitstelle

Für eine effektive Arbeit der Fachberatungsstellen gegen Gewalt müssen neben einer Ausstattung mit genannten Personalschlüsseln folgende Kriterien erfüllt sein:

  • Angemessene Räumlichkeiten und Sachkosten. Fachberatungsstellen benötigen staatlich finanzierte passende Räumlichkeiten (barrierearm, mehrere Räume, gut erreichbar). Neben der Miete werden ausreichend Mittel für Ausstattung, Büro- und Kommunikationsbedarf benötigt.
  • Staatliche Finanzierung für Regelangebote. Regelangebote der Fachberatungsstellen sowie die Fortführung erfolgreicher Projekte müssen durch die öffentliche Hand abgedeckt werden, denn Sponsoren finanzieren meist nur befristete Projekte.
  • Planungssicherheit. Fachberatungsstellen brauchen Planungssicherheit – wie jede andere Institution aus. Zum Beispiel durch Bewilligungszeiträume von mindestens vier Jahren, Regelfinanzierung statt freiwilliger Leistungen oder bedarfsdeckende Förderrichtlinien.
  • Keine Finanzierung über freiwillige Leistungen. Diese sind von politischen Mehrheiten oder Kassenlage abhängig.
  • Keine Einzelfallfinanzierung und keine fallabhängige Finanzierung. Fallzahlen sagen nur wenig über den tatsächlichen Bedarf aus. Je besser eine Beratungsstelle ausgestattet ist, desto präsenter kann sie in der Öffentlichkeit sein, die Fallzahlen steigen. Je weniger Ressourcen eine Fachstelle hat, desto schlechter ist sie erreichbar, das Fallaufkommen sinkt. Um die Anonymität der Beratungen abzusichern, dürfen Fachberatungsstellen nicht über die Abrechnung einzelner Beratungsfälle finanziert werden. Dies muss in Diskussionen um einen Rechtsanspruch berücksichtigt werden.
  • Mindestens zwei Personalstellen. Für Austausch, Supervision und Vertretung im Team brauchen auch kleine Fachberatungsstellen mindestens zwei Personalstellen zzgl. Verwaltung.
  • Ausreichend Mittel für Prävention, Schulungen und Öffentlichkeitsarbeit. Diese Kernthemen der Fachberatungsstellen senken die gesellschaftlichen Folgekosten geschlechtsspezifischer Gewalt.
  • Ausreichend Mittel für Teamfortbildung und Vernetzung. Team- und Einzelsupervisionen sowie Vernetzung und Fachaustausch sichern die Qualität der Arbeit.
  • Förderungen für ländliche und strukturschwache Regionen. Betroffene sollten bis zur nächsten Beratungsstelle nicht mehr als 50 Kilometer oder eine Stunde Weg zu Fuß, mit Bussen oder Bahnen auf sich nehmen müssen.
  • Ausreichend Ressourcen für schwer erreichbare Zielgruppen. Um Frauen mit Behinderungen und/oder Fluchtgeschichte zu erreichen, braucht es mobile Beratungsangebote, Verdolmetschung, Informationskampagnen und Maßnahmen zur Schaffung von Barrierefreiheit.
  • Tarifgerechte Bezahlung der Mitarbeiterinnen. Die komplexen Aufgabenbereiche der Fachberatungsstellen erfordern qualifiziertes Personal und eine angemessene Entlohnung.
  • Berücksichtigung von Kostensteigerungen. Die Bezuschussung muss Kostensteigerungen und zunehmende Beratungsanfragen berücksichtigen.
  • Bestandsschutz für bereits bestehende Fachberatungsstellen. Deren Expertise ist für den Ausbau ambulanter Unterstützungseinrichtungen unerlässlich.
Zitat aus dem Bericht der Bundesregierung (2012): Die grundsätzlich fehlende Absicherung der Einrichtung bedeutet eine grundsätzlich fehlende Absicherung der Arbeitsplätze und mehrheitlich eine Bezahlung, die über lange Zeiten nicht tarifgerecht ist."

Probleme in der aktuellen Finanzierungssituation

  • Keine Planungssicherheit. Die Finanzierung erfolgt in der Regel über freiwillige Leistungen aus kommunalen Mitteln und/oder Landesmitteln, die jederzeit gekürzt werden können.
  • Rückwirkende Bewilligungen im laufenden Jahr. Anfang des Jahres ist unklar, wie hoch die Zuschüsse tatsächlich ausfallen. Die Fachberatungsstellen tragen das finanzielle Risiko.
  • Kurze Bewilligungszeiträume. Die oft jährlich nötigen Anträge, Verwendungsnachweise und Statistiken kosten viel Arbeitszeit.
  • Finanzierung über Einzelfälle oder Fallzahlen. Fallzahlen bilden nicht den realen Bedarf ab. Präventions- oder Öffentlichkeitsarbeit lassen sich so z.B. nicht gut finanzieren. In der Folge sinkt die Bekanntheit und damit sinken auch die Beratungsanfragen, die Zuschüssen werden weiter reduziert. Die Abwärtsspirale geht am tatsächlichen Unterstützungsbedarf vorbei.
  • Aufwändige Eigen- und Drittmittel. Spendengelder, Bußgelder oder Stiftungsförderungen sind aufwändig zu akquirieren und bringen keine Planungssicherheit für Regelangebote.
  • Befristete Projektgelder. Sponsoren und Projektgelder fördern neue Arbeitsfelder für eine bestimmte Zeit. Anschließend können diese oft nicht weitergeführt werden, auch wenn die Bedarfe sehr deutlich sind.
  • Finanzierungslücken. Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzungs- und Gremienarbeit sowie die Weiterbildung der Mitarbeiterinnen werden häufig nicht finanziert, obwohl sie für die Arbeit der Fachberatungsstelle unerlässlich sind.
  • Fehlbedarfsfinanzierung bei ohnehin mangelnder Ausstattung. Wenn es Fachberatungsstellen gelingt, Finanzierungslücken über Spenden oder Sponsoren zu mildern, müssen diese Gelder häufig anteilig an die Zuwendungsgeber zurückgezahlt werden.
  • Kostensteigerungen und wachsende Anfragen. Trotz steigender Kosten stagnieren die Zuschüsse, das bedeutet für die Fachberatungsstellen eine faktische Kürzung. Mit steigender Sensibilität in der Öffentlichkeit nehmen die Anfragen an die Fachberatungsstellen zu. Mit sinkenden Ressourcen müssen die Fachberatungsstellen ein steigendes Beratungsaufkommen bewältigen.