Stellungnahme des bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt e.V. zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren des Bundesministerium des Inneren.
Der bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe[1] bedankt sich für die Möglichkeit, Stellung zum vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren Stellung beziehen zu können. Aufgrund der sehr kurzen Frist von weniger als acht Stunden muss sich der bff auf ein paar wesentliche Änderungen mit negativen Auswirkungen auf gewaltbetroffene geflüchtete Frauen beschränken. Die erneut so kurze Frist zur Stellungnahme untergräbt eine demokratische Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen. Dies wird der gesellschaftlichen Bedeutung der Thematik nicht gerecht.
Der bff bezieht zu folgenden geplanten Gesetzesänderungen Stellung:
Artikel 1: Änderung des Asylgesetzes
- 30 a Beschleunigte Verfahren
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen beschleunigte Verfahren eingeführt werden. Diese können neben Asylsuchenden aus den festgelegten „sicheren Herkunftsstaaten“ auch Flüchtlinge ohne gültige Identitäts- oder Reisedokumente und solche, die falsche Angaben machen, betreffen. Der bff kritisiert diese Eilverfahren, da sie innerhalb der Kürze der Zeit keine Möglichkeit für eine individuelle Prüfung der Fluchtgründe und Asylgründe ermöglichen.
Sexualisierte und körperliche Gewalt finden sehr häufig im Fluchtkontext in unterschiedlichen Situationen statt und betreffen sehr viele geflüchtete Frauen und Mädchen. So stellt sexualisierte Gewalt u.a. ein Massenphänomen in kriegerischen Auseinandersetzungen dar. Aber auch auf der Flucht sind Frauen und Mädchen sehr häufig Gewalt ausgesetzt, z.B. in großen Flüchtlingslagern. Viele Frauen und Mädchen berichten zudem von erzwungenen sexuellen Nötigungen und Übergriffen auf der Flucht, um beispiels-weise an notwendige Informationen zu gelangen. Auch in Deutschland sind geflüchtete Frauen und Mädchen in Unterkünften nicht ausreichend vor Gewalt geschützt.
Der bff fordert, dass bei Hinweisen auf geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen im Herkunftsland, auf der Flucht oder in Deutschland grundsätzlich keine beschleunigten Verfahren und keine Einweisung in besondere Aufnahmeeinrichtungen erfolgen.
Aus der jahrzehntelangen Praxis der auf geschlechtsspezifische Gewalt spezialisierten Fachberatungsstellen und aus der Forschung ist bekannt, dass es für gewaltbetroffene und traumatisierte Frauen sehr schwer ist, über ihre Gewalterfahrungen zu sprechen. (Sexualisierte) Gewalt wird als hochgradig demütigend, erniedrigend und verletzend erlebt und bedeutet für Betroffene immer eine massive Verletzung ihrer Integrität, die zu einer langanhaltenden Traumatisierung führen kann. Viele gewaltbetroffene Frauen schweigen aus Scham oder Angst sehr lange Zeit, manche ein Leben lang. Die gesundheitlichen Folgebeschwerden sind in der Regel gravierend.
Diese schwerwiegenden Folgen von (geschlechtsspezifischen) Gewalterfahrungen müssen im Rahmen des Asylverfahrens dementsprechend berücksichtigt werden. Ansonsten ist zu befürchten, dass beispielsweise Aussagen traumatisierter Frauen, die traumabedingte Inkonsistenzen aufweisen, vorschnell als „falsche Angaben“ eingestuft werden. Im dadurch ausgelösten beschleunigten Verfahren besteht dann in der Kürze der Zeit keine Möglichkeit mehr, die Gewalterfahrungen und Traumatisierungen nachzuweisen.
- 33 Nichtbetreiben des Verfahrens
Der bff sieht hier vor allem den Absatz 2 Nr. 3 sehr kritisch, nach dem bei einem Verstoß gegen die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung von einem Nichtbetreiben des Verfahrens ausgegangen wird. Die erfolgte Wiedereinführung der Residenzpflicht hat bereits jetzt negative Auswirkungen für gewaltbetroffene oder bedrohte geflüchtete Frauen, weil dadurch das Verlassen der Unterkunft oder die Flucht in ein Frauenhaus bei akuten Gewaltvorfällen erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht wird. Wenn bei einem Verstoß gegen die Residenzpflicht die Einstellung des Asylverfahrens droht, kann dies gravierende negative Auswirkungen auf geflüchtete Frauen haben, die Gewalt in der Unterkunft erleben.
Artikel 2: Änderung des Aufenthaltsgesetzes
- 60 Verbot der Abschiebung
Die schwerwiegenden und massiven Folgen von Gewalt sind hinreichend belegt. Eine sehr häufige Folge (schwerwiegender) Gewalterfahrungen sind Posttraumatische Belastungs-störungen (PTBS). Bisher galt PTBS als mögliches Abschiebehindernis, dies soll entsprechend des vorliegenden Gesetzentwurfs verändert werden, nachdem eine Posttraumatische Belastungsstörung nicht mehr als lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung gilt.
Der bff kritisiert diese Einschränkung als starken Eingriff in die Rechte von traumatisierten Flüchtlingen. Posttraumatische Belastungsstörungen stellen für die betroffenen Personen eine erhebliche gesundheitliche Belastung und auch Gefährdung dar.
Die Begründung, dass eine PTBS schwer diagnostizierbar ist, darf nach Ansicht des bff nicht zum Nachteil der Betroffenen herangezogen werden. Die Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen erfordert qualifiziertes medizinisches und therapeutisches Personal sowie eine sicheres soziales Umfeld.
- 104 Absatz 13 Übergangsregelungen
Die geplanten Regelungen zur Aussetzung des Familiennachzugs für zwei Jahre für subsidiär Schutzbedürftige werden in der Praxis überproportional zum Nachteil von Frauen und Kindern ausfallen. Es ist davon auszugehen, dass vermehrt allein reisende Frauen (mit Kindern) die gefährliche Flucht auf sich nehmen. Zugleich ist ein noch längerer Verbleib von Frauen (und Kindern) in Transitländern zu befürchten, in denen sie extrem schlecht vor Gewalt geschützt sind. Bislang stellt der Familiennachzug einen der sehr wenigen sicheren Einreisemöglichkeiten für Frauen und Kinder dar.
Zusammenfassung
Der vorliegende Entwurf stellt für gewaltbetroffene und traumatisierte geflüchtete Frauen eine gravierende Verschlechterung ihrer Situation dar. Der besonderen Schutzbedürftigkeit geflüchteter Frauen und ihrer Kinder wird in dem Entwurf in keiner Weise Rechnung getragen.
Die besonders schwierige Situation geflüchteter Frauen und notwendige Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt sind auf Bundes- und Länderebene seit längerer Zeit in der Diskussion. Notwendig sind unter anderem verbindliche Richtlinien und Standards zum Schutz vor Gewalt in Unterkünften sowie die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie. Leider enthält der aktuelle Entwurf des Bundesministeriums des Inneren keinerlei Maßnahmen für besonders schutzbedürftige Personengruppen im Asylverfahren. Damit wird dieser Entwurf in keiner Weise den Anforderungen der EU-Aufnahmerichtlinie gerecht.
bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe
www.frauen-gegen-gewalt.de
[1] Der bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe ist der Dachverband von bundesweit 170 spezialisierten Fachberatungsstellen für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen. Die dem bff angeschlossenen Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe beraten und unterstützen zu ganz verschiedenen Formen von Gewalt. In den vergangenen Monaten haben sich viele geflüchtete Frauen an die spezialisierten Fachberatungsstellen gewandt.